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Der jährliche Regionalbahn-Wirbel

Pünktlich zum Jahresende stürmt's wieder im Wasserglas - eine Analyse mit Rückblick und Vorschau

12/28/2011

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Manni Schneiderbauer
Foto: Monique "Mo" Steiner
So schnell ist's wieder gegangen, eben noch haben wir die ersten Frühlingsblümchen bestaunt, bald danach unter der Hitzewelle gestöhnt, doch jetzt regiert schon wieder Väterchen Frost.

Und in den winterlichen Eisregen mischen sich erneut schrille Schreie der Tram-Gegner, die uns aufs verkehrspolitische Glatteis führen wollen.



Der fette Weißbart im roten Mantel hat sich mit seinem fliegenden Schlitten bereits wieder über die Häuser geschwungen. Das kann nur eines heißen: das Jahr ist zu Ende. In der Regel werden zum Jahresende hin die Budgets von Land und Stadt beschlossen, doch das Stadt-Budget ist diesmal ein zweijähriges und wurde bereits Ende 2010 festgemacht.
Diesmal ist es der Landesrechnungshof, der für Diskussionen sorgt: die Realisierung der "Regionalbahn", wie die geplante Ost-West-Stadtbahnlinie nach Hall und Völs ja offiziell betitelt ist, erfolge ineffizient und unprofessionell.

Der kritische Rechnungshofbericht wird der "Regionalbahn" ein solideres Fundament verleihen
Die vom Rechnungshof festgestellten Versäumnisse kritisiert die Arbeitsgemeinschaft Innsbrucker Nahverkehr, in der ich bekanntlich auch mitwirken darf, schon immer. Ein Blick in die Liste der Presseaussendungen der AIN genügt, um festzustellen, dass die Verantwortlichen sehr wohl von externer Seite auf die Probleme hingewiesen wurden. Noch viel effizienter machen das politische Parteien, allen voran (genaugenommen: beinahe ausschließlich) die Grünen, sowohl im Landtag als auch im Gemeinderat. (Ja, das ist eine Wahlempfehlung!)

Hauptkritikpunkte des Landesrechnungshofes sind das Fehlen eines verbindlichen Umsetzungszeitplans und die Tatsache, dass immer noch keine Projektierungs- und Errichtungsgesellschaft für das Stadtbahnprojekt installiert wurde. Die Realisierung des nicht nur größten, sondern auch wichtigsten Verkehrsprojekts Innsbrucks wird im Moment so gut wie nur möglich von den IVB gemanagt, neben dem Tagesgeschäft. Dass dabei Reibungsverluste auftreten und nicht alles immer ganz so professionell abläuft, wie es sollte, ist klar.

Auch klar ist, was jetzt in Reaktion auf den Rechnungshofbericht geschehen muss: die Landesregierung ist angehalten, so schnell wie möglich nicht nur einen verbindlichen Zeitplan für das Gesamtprojekt, sondern auch einen langfristigen Finanzplan für den Landesanteil zu erarbeiten und zu beschließen und die seit Jahren geforderte Dachgesellschaft zu installieren, die mit eigenem Mitarbeiterstab die Umsetzung der nächsten Bauetappen koordiniert.
In diesem Zusammenhang könnte es auch nicht schaden, den Beschluss zur Errichtung des Stadtbahnabschnittes Rum - Hall schon jetzt zu treffen. Laut aktueller Beschlusslage hat dieser erst zwei Jahre vor Inbetriebnahme der Stadtbahn nach Rum zu erfolgen - was konkret bewirkt, dass in Hall derzeit keine Sicherung der Trasse möglich ist.

Absehbar war, dass dem kritischen Rechnungshofbericht wieder die alten Forderungen des kommunalpolitischen rechten Randes auf den Fuß folgen würden: ginge es nach FPÖ und Konsorten, dann wäre der gesamte Tram-Ausbau sofort einzustellen, was ähnlich sinnvoll und realistisch ist wie die Forderung der Bundes-FPÖ nach einem Austritt aus der Euro-Zone.
So mäusepiepsig die rechten Bell-Versuche auch sind, sind die Rechten in Innsbruck doch nur eine kleine politische Minderheit und wird aktuellen Umfragen (November, Dezember) zufolge daran auch die Gemeinderatswahl 2012 wahrscheinlich nicht viel ändern, sorgt der fachliche Unsinn, den die rechte Auto-Lobby von sich gibt, doch für Verunsicherung in der Bevölkerung.
Viele fragen sich: wird die Stadtbahn denn nun kommen oder nicht?

Der Landesrechnungshofbericht, der den diesjährigen Sturm im Wasserglas auslöste, wird den Effekt haben, dass die kritisierten Missstände seitens des Landes ausgeräumt werden. Das Gesamtprojekt wird durch entsprechende Landtagsbeschlüsse auf ein festeres Fundament gestellt werden. Genaues wissen wir spätestens Ende Jänner, wenn der Bericht im Finanzkontrollausschuss behandelt wurde und feststeht, welche Maßnahmen zu treffen sind.
Ein vorzeitiger Projektabbruch, der Wunschtraum der Rechten, wird jedenfalls ganz sicher nicht eintreten, dafür fehlt jegliche rechtliche Grundlage und Derartiges wäre in der aktuellen Legislaturperiode auch nie und nimmer politisch mehrheitsfähig.

Nach wie vor großer Rückhalt für den Tram-Ausbau in Bevölkerung und Politik
Die Stadtregierung, derzeit bestehend aus "Für Innsbruck", ÖVP und SPÖ, steht nach wie vor hinter dem Tram-Ausbau, es gibt hier keinerlei gegenteiligen Trend. Immer wieder weist die Bürgermeisterin in Aussendungen und Interviews auf die Wichtigkeit dieses Vorhabens hin - und auch die Bevölkerung steht mit großer Mehrheit dahinter (Aktuelle Umfrage der Stadt, aktuelle Umfrage der TT). Und das ist durchaus bemerkenswert, musste die Bevölkerung jetzt doch schon zwei Jahre lang gröberes "Baustellenchaos" ertragen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Grünen als seit jeher größte Proponenten des Tram-Ausbaus nach der Gemeinderatswahl die Oppositionsrolle verlassen und mitregieren werden. Die Stadt wird die Realisierung also weiterhin vorantreiben. Das Land, in dem die Karten nicht ganz so klar verteilt sind, wird weiterhin zumindest im Rahmen der Verträge agieren, und der Finanzierungsvertrag ist bekanntlich schon lange unterzeichnet.

Rückblick auf 2011 und Vorschau auf 2012
Weil Jahresende ist, kann sich dieses Editorial nicht nur mit einem aktuellen Thema befassen - werfen wir deshalb noch einen kurzen Blick zurück und auch nach vorne.

Das Jahr 2011 war aus Sicht des Tram-Ausbaus vor allem von der Errichtung von immerhin rund zwei Kilometern an Neubaugleisen geprägt. Das zweite Gleis am Innenstadtring wurde komplettiert und ein rund 700 Meter langer doppelgleisiger Neubaustreckenabschnitt durch die westliche Anichstraße bis zur Höttinger Au wurde ebenfalls fertiggestellt. Beides ist angesichts des sensiblen innerstädtischen Umfelds als gute Leistung zu werten, denn keine andere österreichische Großstadt hatte in den letzten Jahrzehnten den Mut, mehr als nur ein paar Meter neuer Tramgleise mitten durch die Innenstadt und an der Oberfläche zu errichten.
Parallel dazu lief die Planung für Bauetappe 2, mit deren Umsetzung sofort im Anschluss an Bauetappe 1 begonnen wird. Der aktuelle Zeitplan ist immer hier zu finden.

2012 bringt uns zunächst die Stufe 2 der Liniennetzoptimierung, die mit 1. März in Kraft tritt. Den von vielen - zu Recht - kritisierten Intervallausdünnungen auf den Linien 1 und 3 im Werktags-Tagesverkehr, auf denen pro Stunde nur noch sechs statt wie bisher acht Kurse verkehren werden, stehen zwei neue Buslinien und mehrere Optimierungen im Busnetz gegenüber.
Im Mai kann dann mit den ersten Gleisbaumaßnahmen des Jahres gerechnet werden. Die Verlängerung Amras der Linie 3 soll in diesem Monat in Angriff genommen und bis zum Sommer fertiggestellt werden.
Frühestens ab Juni werden auch in der Höttinger Au wieder Gleise verlegt. Trotz einer neuerlichen Verzögerung wegen eines Enteignungs-Großverfahrens soll die erste Ausbaustufe nach Westen zum Jahresende in Betrieb genommen werden - mehr über den bisher bekannten Zeitplan für 2012 immer hier.

So bleibt mir nun nur noch, den Leserinnen und Leserm zu danken, die strassenbahn.tk auch 2011 die Treue gehalten haben, und selbstverständlich den aktiven Usern im Inntram-Forum, die in diesem Jahr wieder zahlreiche interessante Forenbeiträge verfasst und wunderbare Fotos gepostet haben.

In diesem Sinne: so long und guten Rutsch!

Signatur
Manni Schneiderbauer
Sämtliche Formulierungen in diesem Artikel beziehen sich auf beide Geschlechter.



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