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Tschüss 06

Versuch eines Jahresrückblicks

12/31/2006

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Manni Schneiderbauer D elay - auf diesen simplen, der englischen Sprache entlehnten Begriff könnte man rückwirkend 2006 und vorgreifend wohl auch 2007 herunterbrechen.

Ginge es nämlich nach dem Straßenbahnkonzept von 2001, bestünde nicht nur bereits seit geraumer Zeit der gesamte Straßenbahnfuhrpark aus modernen Niederflurfahrzeugen, nein, wir würden auch bereits mit der Tram nach Allerheiligen und ins O-Dorf fahren können, so wir wollten. Auch das Tivoli-Stadion wäre per Tram angebunden, die Strecke Richtung Rehgasse wäre gerade in Bau.

Und ginge es nach dem ursprünglichen Zeitplan des nun gültigen Regionalbahnkonzepts, kämen wir ebenfalls schon seit Herbst in den Genuss von Niederflurstraßenbahnen, und in definitiv ziemlich genau einem Jahr würde die Errichtung der Neubaustrecken in die westlichen Stadtteile beginnen.

Spätestens hier müssen wir zurückkehren zu dem Begriff, mit dem ich dieses Editorial begonnen habe.

Delay - Verzögerung - ist leider das Schlagwort im Innsbrucker Straßenbahnausbau. Aber nicht in jeder Hinsicht ist die zeitliche Verzögerung von Nachteil: die Fahrzeuge kommen später, weil eben noch Feinschliff notwendig war. Nun gut, lassen wir das mal gelten. Auch wenn man als Gegenargument anbringen könnte, dass man mit der Festlegung der Details ja auch früher hätte beginnen können - schließlich reichen die gültigen politischen Beschlüsse zurück bis 2001, und es gibt für solche Fälle ein Instrument namens Zwischenfinanzierung. Und auch die integrative Betrachtung und Konzipierung von Tram, Stadtbahn und S-Bahn kann nur vorteilhaft sein - da wollen wir mal beide Augen zudrücken, wenn's ein wenig länger dauert.

Sehen wir uns am besten doch mal an, was 2006 nun wirklich passiert ist.

Im Jänner musste man leider das Vorhaben fallen lassen, eine angemietete Niederflurstraßenbahn aus Lodz (PL) bis zum Eintreffen der ersten eigenen Wagen im Liniendienst einzusetzen. Die Eisenbahnbehörde versteht keinen Spaß in solchen Dingen, umfangreiche Modifikationen hätte so ein Probeeinsatz erfordert, und diese waren schlicht zu teuer.

Am 3. Februar passierte ein schwerer Unfall. Tram 73 und Bus 966 kollidierten am Hauptbahnhof wegen einer falsch gestellten Weiche. strassenbahn.tk berichtete kritisch darüber - aufgrund fundierter Experten-Aussagen, machte sich damit allerdings auch zur Zielscheibe von Anfeindungen - ein Schicksal, das wohl jedes kritische und unabhängige Medium einmal ereilt. Die Wogen haben sich inzwischen allerdings wieder geglättet und Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen, die solche Unfälle in Zukunft verhindern sollen.

Mit 13. März startete die Info-Kampagne der IVB zum Straßenbahnausbau in den Rathausgalerien. Dort sah man auch erstmals, wie die neuen Straßenbahnen nun wirklich aussehen würden. Auch wenn die Kampagne nur zeitlich begrenzt war und nach Meinung von strassenbahn.tk besser eine Dauereinrichtung gewesen wäre, war sie durchaus von Erfolg gekrönt - das Thema Straßenbahn war wieder verstärkt in den Medien vertreten.

Im April wurde mit den diesjährigen Gleissanierungsarbeiten begonnen - mehr Laufruhe, besserer Fahrkomfort und höhere Sicherheit auf allen Linien sind das Ergebnis.

Große Hoffnung wurde in die Gemeineratswahl gesetzt, ganz konnten diese leider nicht erfüllt werden, kam doch wieder eine bürgerliche Mehrheit zustande, die zwar federführend war und ist bei Straßenbahn- und Regionalbahnkonzept, gleichzeitig aber auch nicht sehr viel Mut zu den motorisierten Individualverkehr einschränkenden Begleitmaßnahmen zeigt. Doch die Verhältnisse haben sich wenigstens ein bisschen in die richtige Richtung verschoben - den neuen Verkehrsstadtrat stellt die SPÖ, und diese hatte in ihrem Wahlprogramm viel vor mit der Tram.

Der Sommer war geprägt von Bauarbeiten - vor allem von solchen, die die Belange der IKB betrafen. Das altehrwürdige Kanalnetz unserer Landeshauptstadt hätte den zukünftigen Straßenbahn-40-Tonnern nämlich nicht stand gehalten. Erstmals in Innsbruck wurden Bypass-Gleise eingesetzt, um die Baustellen zu umfahren.
Neben diesen Bauarbeiten wurden auch zahlreiche Haltestellen nach Stadtbahnstandard neu gebaut, auch hier gab es mit den befahrbaren Kaps eine Premiere.

Neuerungen gab es auch bei Haltestellenschildern und -bezeichnungen. Es wurde nicht nur eine weitere Erinnerung an die traditionsreiche Hungerburgbahn durch Umbenennung der nach ihr benannten Haltestellen aus dem urbanen Gedächtnis getilgt, sondern auch das Design der Schilder dem neuen IVB-Design angepasst - samt zweimaliger Änderung der Schriftgröße. Im Herbst passte man schlussendlich auch noch die Aushangfahrpläne dem neuen Design an.

Eine Schreckensnachricht vermeldete die kommunale Pressestelle am 4. Juli: der Stadtsenat hatte sich für die Entfernung des Gleises aus der nördlichen Maria-Theresien-Straße entschieden. Das etwa 300m lange Gleisstück hätte auch in Zukunft bei Betriebsstörungen gute Dienste geleistet, passte aber nicht ins Konzept der Fußgängerzone.

Im Juli ging es Schlag auf Schlag: nachdem die ÖBB ihre S-Bahn-Pläne für Innsbruck präsentiert hatte und das Planungsbüro BVR ein Gesamtkonzept im Rahmen des Verkehrskonzepts Mils nachlegte, kamen auch Stadt- und Landesregierung ins Grübeln und entschlossen sich spät, aber doch, Tram, Stadtbahn und S-Bahn gemeinsam zu konzipieren und zu budgetieren, ein Vorhaben, das schlecht informierte JournalistInnen vor allem der größten Tageszeitung im Lande bis heute gelegentlich zu fantasievoll-pessimistischen Meldungen über das Voranschreiten der Umsetzung des Regionalbahnkonzepts veranlasst.

Herbst und Winterbeginn verliefen eigentlich recht ereignislos - wer's dennoch wissen will, schaut am besten hier nach.

Kein Rückblick ohne einer damit einhergehenden kurzen Vorschau: 2007 haben wir wieder einiges zu erwarten. Am Ende des Jahres wird das gesamte Bestandsnetz einigermaßen moderne Infrastruktur aufweisen: Bahnsteige an den Haltestellen, Funkweichensteuerung, eventuell auch der eine oder andere separate Gleiskörper, und der erste Niederflurwagen wird - endlich - unterwegs sein.

Denn, bei allem Delay und aller verkehrspolitisch bedingten Unvollkommenheit können wir uns glücklich schätzen, schon bald in die, wenn man so sagen will, Oberliga der modernsten Straßenbahnstädte aufzusteigen. Den geplanten Ausbaumaßnahmen, vor allem hinaus in die Region und in Kombination mit der S-Bahn, vermag, das ist eine Tatsache, keine andere österreichische Stadt Vergleichbares an die Seite zu stellen - auch wenn natürlich zu hoffen ist, dass möglichst viele andere Städte weltweit dem Vorbild Innsbrucks und der bekannten Vorbilder vor allem in Frankreich und Deutschland folgen.

Ein wenig Geduld lohnt sich also durchaus noch.

In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Freunden, Lesern, Usern, vor allem des Forums, Informanten, Foto-Zusendern, freiwilligen strassenbahn.tk-Mitarbeitern sowie allen Tram-Fans ein gesundes und glückliches Jahr 2007 und bedanke mich für die Treue!



Signatur
Manni Schneiderbauer
Sämtliche Formulierungen in diesem Artikel beziehen sich auf beide Geschlechter.



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